15.45h: Der Asylgerichtshof ist auf ganzer Länge mit Tretgittern zur Straße hin gesichert. Das Polizeiaufgebot dahinter beschränkt sich allerdings auf 8 Polizist_innen im Eingangbereich des Gerichts. Die Demo ist angemeldet. Nachdem der Anmelder sich angekündigter weise verspätet, wird die Verantwortung vor Ort von jemand anderem übernommen, wie schon in der Anmeldung vermerkt. Keine troubles. Pünktlich um 16.00h sind ca. 10 Demonstrant_innen da, aber von da an füllt sich die Laxenburgerstraße allerdings erstaunlich schnell mit einer unerwartet großen Anzahl von Menschen. In der Vorbereitung wurde mit einer sehr kleinen Schar von Lärmenden gerechnet, weil noch die lange Kundgebung am Viktor-Adler-Markt bevorsteht. Schlussendlich sind es dann doch ca. 150 bis 200 Personen. Die Zusammensetzung spiegelt zum größten Teil die Allianz, die sich in den vorbereitenden Plena in den letzten Wochen gebildet hat: Undogmatische Linke, Mitglieder von außerparlamentarischen linken Parteien, NGO-Leute, kritische Wissenschaftler_innen sowie Aktivist_innen aus türkisch-kurdischen Organisationen bilden das Gros der Teilnehmenden. Auffällig ist das Fehlen der Schüler_innen-Organisationen. Der Verkehr stadtauswärts wird aufgrund der Menschenmenge auf der Laxenburgerstraße nun mit Ausnahme der Straßenbahn umgeleitet. Eine Polizistin fühlt sich offenbar durch die Menge bedroht und schließt demonstrativ die letzte Lücke am Rand des Tretgitterzaunes. Von den Fenstern im ersten Stock des Asylgerichtshofes wird die Demo schaulustig verfolgt und gefilmt. Der Lärm hält sich allerdings abgesehen von ein paar jaulenden Megaphonen anfangs mangels drastischerer Lärminstrumente in Grenzen. Etwas mehr Stimmung kommt auf, als ein Lastenfahrrad mit Stereoanlage vorfährt. Einige Demonstrant_innen sprayen ein Transparent. Andere machen die Erfahrung, dass Plastikkochlöffel leicht brechen, während sich hölzerne Kochlöffel besser zum Lärmmachen mittels Pfannen und Töpfen eignen. Ein älterer Mann in militärischem Outfit am Rande der Demo fällt dadurch auf, dass er die Kolleg_innen, die ihn ansprechen, mit aggressiven Gesten von sich weist. Aber nachdem die Demonstrationsteilnehmenden Abstand zu ihm halten, kommt es zu keinen weiteren Zwischenfällen.
16.30h: Die für eine Lärmdemo adäquate Stimmung kommt erst eine halbe Stunde nach Beginn auf, als eine angekündigte Trommelgruppe ihren Weg vom Viktor-Adler-Markt zur Laxenburgerstraße findet. Damit ist die Demo abmarschbereit. Ursprünglich hatten wir nicht mit einer solchen Anzahl von Demonstrant_innen gerechnet, weshalb die angemeldete Demo-Route geradewegs zur Fußgänger_innenzone führte, um nicht als kleine Gruppe auf den Gehsteig gedrängt zu werden. Stattdessen zieht die Demo nun die Laxenburgerstraße hinauf zum Quellenplatz und von dort wenige hundert Meter zur Fußgänger_innenzone in der Favoritenstraße, wo viel Publikum teilweise auf die Straßenbahn wartet, die im Schrittempo hinter dem Demonstrationszug herfährt. Mehrere Leute verteilten entlang der Demonstration Flyer und kamen mit einigen Passant_innen ins Gespräch. Die Reaktion waren unterschiedlich: Neben einigen rassistischen Äußerungen und Desinteresse zeigten viele Passant_innen Zustimmung und Interesse. Leider wurden angesichts der wartenden Massen zu wenige Flyer verteilt; denn allein durch das Fronttransparent mit der Forderung nach Bewegungsfreiheit und den von der Trommelgruppe gerufenen Slogans, dass Menschenrechte geklaut werden und dass nicht die Migrant_innen sondern die Profitinteressen das Problem seien, wird der Menschenmenge nicht ganz klar, was die Anliegen der Demonstrant_innen sind. Nach einem kurzen Schwenk auf den Reumannplatz dreht der Demozug um und marschiert die Fußgänger_innenzone hinunter bis zur Bühne am Viktor-Adler-Markt, wo noch der Soundcheck im Gang ist. Daher hört die Trommelgruppe vorerst nicht auf zu spielen, sondern sorgt weiterhin für Stimmung. Eine kleine Performancegruppe von Schwarzen Frauen tanzt im Kreis der Trommler_innen, was von den anwesenden Fotograph_innen und Kamerateams als willkommenes Motiv genutzt wird. Aufgrund des Lauterwerdens des Soundchecks auf der Bühne entschließt sich die Trommelgruppe dann dazu, noch einmal zum Reumannplatz hinaufzugehen, um ein zweites mal von dort mit Trommelwirbel die Leute zur Kundgebung mitzuziehen. Beim Wiedereintreffen der Trommelgruppe am Viktor-Adler-Markt ist dann schon die Eröffnungsrede im Gange.
17.20h: Das reguläre Programm beginnt mit ein wenig Verspätung, aber auch beim Soundcheck sind schon einige Schaulustige stehen geblieben. Auf der Fußgänger_innenzone am Viktor-Adler-Markt sind ca. 500 bis 700 Menschen versammelt, die der Kundgebung folgen. Dazu kommen Passant_innen, die am Rand stehen bleiben und irgendwann weiter ziehen.
Die 30 m2 große offene Bühnenplattform und die 3 m hohe Leinwand daneben wirken schlicht, aber professionell. Trotzdem die Sonne noch nicht untergegangen ist, leistet der große Beamer schon ganze Arbeit. Die eigens für den Anlass produzierten Visuals, die hauptsächlich in verschiedenen Sprachen auf den transnationalen Migrant_innenstreik am 1. März hinweisen, sind auf der Leinwand gut zu sehen. Trotz der Kälte haben wir Glück mit dem Wetter. Kaum Wind, kein Niederschlag und es ist nicht mehr so eisig wie noch vor ein paar Tagen. Trotzdem ist es kalt.
Manche Kundgebungsteilnehmer_innen klagen schon nach der ersten halben Stunde darüber, dass sie sich von der Sonne haben täuschen lassen. Auf die Eröffnungsrede, die den 1. März als Tag des transnationalen Migrant_innenstreiks thematisiert, folgt der erste Musikblock. Den Veranstalter_innen war wichtig, die Musiker_innen nicht wie üblich für ein Lied auf die Bühne zu bitten. Vielmehr sollen die Musikbeiträge länger dauern, um die Kundgebung für die Passant_innen attraktiver und den Zugang zu den Redebeiträgen niederschwelliger zu machen. Das gelingt in der ersten Phase, wo noch viele Menschen am Markt sind, ganz gut. Es bleiben doch einige Menschen etwas länger an den Rändern hängen. Da nicht nur die Moderator_innen und die Redner_innen sondern auch die Musiker_innen es sich nicht nehmen lassen, auf den politischen Kontext hinzuweisen, gibt es seitens der Passant_innen keine Fragen mehr, was das denn für eine Veranstaltung sei. Manche studieren auch die rund um die Bühne aufgestellten Schautafeln. Die Volxküche, die anfangs neben der Bühne postiert war, verlagert ihren Standort hinter die Zuschauermenge. Nach dem Sazspieler Düzgün Celebi und seiner Band folgt ein Block mit Reden
Der zweite Musikblock wird vom Chor 29. Novembar bestritten, der Lieder in mehreren Sprachen zum besten gibt, u.a. "Die Arbeiter von Wien". Dann folgen wieder Reden
In dieser Phase der Kundgebung ab ca. 19.00h bleiben kaum noch Passant_innen stehen. Die meisten Geschäfte rundherum sind geschlossen. Und es ist kalt. Dementsprechend leert sich die Fußgänger_innenzone. Auch manche von uns suchen zwischenzeitlich etwas Wärme in umliegenden Lokalen.
Der dritte Musikblock widmet sich dem Rap: Item7, Daniel und Kid Pex heizen dem Publikum trotz der Kälte ein.
Vor dem letzten Musikteil fallen einige Reden aus, was zu dieser Zeit von den meisten Beteiligten eher mit Erleichterung aufgenommen wird. Es gibt nur eine Rede zu Migrationsbedingungen und sexueller Orientierung. Die Moderation lädt zu den Afterparties in den nahe gelegenen Räumlichkeiten von Atigf und Planet10 ein und weist darauf hin, wie es nach dem 1. März mit den politischen Aktivitäten weitergehen wird. Die geplanten Live-Schaltungen nach Italien und Frankreich funktionieren leider nicht, was von den Moderator_innen überbrückt wird.
Zuletzt spielen Vlada Divljan & fatal kissuti Songs von Idoli. Diejenigen, die so lange ausgehalten haben, erleben einen mitreißenden Gig, bei dem die geschrumpfte Menge ausgelassen zu tanzen beginnt.
Pünktlich um 20.30h ist das Programm zu Ende. Die Bühne wird in Windeseile von vielen helfenden Händen zerlegt und verladen. Um 20.50h ist der Platz wieder so leer wie an einem normalen Abend. Die meisten Leute, die bis zum Ende geblieben sind, sehen sich bei den Afterparties wieder, wo noch bis spät in die Nacht gefeiert, gegessen, getanzt, getrunken und diskutiert wird.